Prokon: „Rufmord für jedermann“?
Die Windkraftfirma Prokon reagiert auf unsere Berichterstattung vom vergangenen Sonntag und Montag. Wir hatten in der „Welt am Sonntag“ und in der „Welt“ unter anderem über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lübeck gegen Firmenchef Carsten Rodbertus berichtet. Das eröffnet die Chance auf eine öffentliche Debatte. Deshalb wäre es gut, wenn Prokon bei den Fakten bliebe.
„Rufmord für jedermann“: So ist der Beitrag auf der Prokon-Internetseite überschrieben. Ausgedruckt ist er etwa viereinhalb Din-A4-Seiten lang. Er enthält Empörung, Erklärungen und Anschuldigungen. Prokon hat leider darauf verzichtet, unseren Beitrag zu verlinken. Das ist Schade, die Leser und Anleger hätten sich ein viel besseres Bild machen können. Denn einige der zentralen Behauptungen und suggerierten Eindrücke des Prokon-Schreibens halten einer Überprüfung nicht stand:
Zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lübeck: Prokon schreibt, in Deutschland dürfe „jeder gegen jeden Strafanzeige erstatten und die Behörden müssen sich damit befassen“. Das ist soweit richtig. Das mag hin und wieder bedauernswert sein, ist aber im deutschen Rechtssystem so verankert und liegt – in jedem Fall und zu Recht – außerhalb des Einflussbereichs der Presse.
Wusste Prokon wirklich von nichts? Prokon behauptet, man habe von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lübeck „aus der Presse“ erfahren. Das mag die Firma ein wenig wie ein Opfer von Staatsanwälten und Journalisten aussehen lassen, entspricht aber nicht den Tatsachen. Wir haben Prokon vor der Veröffentlichung um eine Stellungnahme gebeten, die wir auch bekamen und die sich in der Berichterstattung wiederfindet. Zudem hat Prokon schon eine Woche vor der Veröffentlichung eine unserer früheren Anfragen (es ging um eine Melderegisterauskunft) auf die firmeneigene Homepage gestellt – auch darin ist schon von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen Betrugs die Rede.
Hintergründe des Bestechungsverdachts: Prokon beschreibt den Fall im Landkreis Wesermarsch, in dem die Staatsanwaltschaft Lübeck dem Verdacht der Bestechung nachgeht. Das alles ist noch einiges ausführlicher dargestellt als in der „Welt am Sonntag“ und der „Welt“. Prokon schreibt dazu zweierlei: Der Beamte, der von Prokon bestochen worden sein könnte, habe seine Nebentätigkeit für Prokon bei seinem Amt angezeigt. Erstens hatten wir exakt das berichtet. Zweitens spielte der Raumplaner in unserer Berichterstattung nur eine Nebenrolle. Es scheint fast, als sollten Prokons lange Erklärungen zu diesem Beamten davon ablenken, dass der Firmenchef im Fokus der Staatsanwaltschaft steht.
Wie man eingestellte Ermittlungen interpretiert: Prokon behauptet, Staatsanwaltschaft Lübeck habe die aktuellen Ermittlungen inzwischen relativiert. Das Unternehmen bezieht sich auf fünf frühere Ermittlungen gegen Rodbertus. „Jedes Mal haben sich die Anschuldigungen als völlig haltlos erwiesen und die Ermittlungen wurden eingestellt.“ Genau das steht auch in unseren Artikeln, Quelle ist die Staatsanwaltschaft Lübeck. Warum dann die Aufregung? Wir können doch nicht schlussfolgern, dass die Staatsanwaltschaft auch diese Ermittlung einstellen wird. Wir sagen nicht die Zukunft voraus und halten uns an Tatsachen: Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
„Und woher wissen die Redakteure der ‚Welt’, dass gegen PROKON und Carsten Rodbertus ermittelt wird?“, fragt Prokon. Und gibt die Antwort gleich selbst. „Diese Informationen können also nur durch diejenigen Personen, die die Anzeigen erstattet haben, an die Presse gelangt sein“. Schlussfolgerung: „eine klassische Rufmordkampagne“. Klingt gut, die Wahrheit ist viel simpler. Über den Fall des Raumplaners im Zusammenhang mit einem Betrugsverdacht hat eine Lokalzeitung vor einigen Monaten schon einmal berichtet – wie Prokon selbst ganz richtig schreibt. Es ist also gar nichts Verschwörerisches daran, so funktioniert Journalismus: Man sammelt Fakten, zieht Schlüsse, prüft diese – und findet sie bestätigt oder aber widerlegt.
„Und die Presse bekommt dann merkwürdiger Weise auch Informationen.“ Auch das ist kein Zauber, sondern schlichtes Handwerk. Welche Informationen die Presse bekommt, ist gesetzlich ziemlich genau geregelt. Es steht im Grundgesetz und vor allem in den Landespressegesetzen. Das gilt ganz ähnlich auch für erweiterte Melderegisterauskünfte. Die Presse hat in Deutschland einige Informationsprivilegien. Aus gutem Grund, sie soll in der Lage sein kritisch zu berichten. Dagegen sollte Prokon eigentlich nichts haben.
Die Reporter wollten … – ja was eigentlich? Prokon schreibt: „Dass die beiden Redakteure nicht objektiv schreiben, ja gar nicht objektiv schreiben können, wird jedem spätestens dann klar, wenn er den beinahe lächerlich wirkenden Unterton der Herren Neller und Nagel wahrnimmt.” Der Unterton ist also das Problem. Das muss wohl daran liegen, dass Prokon an den Fakten nichts auszusetzen hat. Prokon stellt – von den Ermittlungen abgesehen – nicht einen einzigen inhaltlichen Punkt unserer mehrere Seiten umfassenden Berichterstattung in Frage.
Langes Interview, kurze Zitate. Prokon bedauert, dass unser Interview mit der Geschäftsführung 2 Stunden und 45 Minuten gedauert hat, “aber natürlich nur winzige Teile davon in den Artikeln wiederzufinden sind”. Das ist wahr. Auch hier ist die Begründung simpel: Interviews von ähnlicher Dauer werden nie vollständig gedruckt, können sie nicht. Die Mitschrift des Gesprächs umfasst 100 voll bedruckte Din-A4-Seiten. Rodbertus antwortet auf kurze Fragen gerne mit langen Antworten, die selten direkt zum Punkt führen. Wir hatten Prokon erlaubt, den Audiomitschnitt ins Internet zu stellen. Das tut das Unternehmen bisher (Stand 19.4.) aber nicht, obwohl es sonst so ziemlich alles ins Internet stellt, was die eigene Sichtweise bestärkt. Warum? Wissen wir nicht. Prokon bietet stattdessen an, Interessierten den kompletten Audiomitschnitt des Interviews zuzuschicken. Wir wünschen uns, dass möglichst viele Menschen davon Gebrauch machen.