Die krummen Deals des Tickethändlers Eventim
CTS Eventim ist eine der wichtigsten Firmen im deutschen Showgeschäft. Vom Ticket bis zur Konzerthalle – die Firma hält alles in der Hand. Jetzt wird ihr Machtmissbrauch und Abzocke vorgeworfen.
Von Lars-M. Nagel, Tim Röhn
Die Villa leuchtet selbst an tristen Februartagen weiß. Die Auffahrt ist frisch gepflastert, der Rasen auf englisches Maß gestutzt. Säulen tragen den Balkon, von dem aus der Blick auf einen See fällt. Die Nachbarn in bester Hamburger Lage in Alsternähe sind wohlhabende Kaufleute, Filmemacher, Anwälte. Wer hier wohnt, hat es geschafft. So wie der Bremer Milliardär Klaus-Peter Schulenberg, dem die Villa gehört.
Wer ein Konzert von Helene Fischer, Deichkind oder eine Show von Mario Barth sehen möchte, kommt an Schulenbergs Firma CTS Eventim kaum vorbei, denn sie verkauft die Eintrittskarten im Internet. Helene Fischer, Deichkind und Mario Barth wiederum können sich auf Schulenberg verlassen, wenn sie in vollen Stadien oder Konzertsälen auftreten wollen. Die Stars wissen: Keiner in Deutschland verkauft ihre Eintrittskarten schneller und zuverlässiger als er.
Doch nun braut sich über CTS Eventim ein Sturm zusammen. Das Bundeskartellamt hat ein Verfahren eingeleitet und prüft, ob Schulenberg seine Marktmacht missbraucht. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt, ob er einen DFB-Manager bestochen hat. Verbraucherschützer gehen wegen überhöhter Gebühren gegen ihn vor. Und in der Branche wird über sein Firmengeflecht diskutiert, zu dem eine Firma in einer Steueroase gehört.
Aufstieg durch die Krise im Plattengeschäft
Wer Schulenberg in der Lobby des Eventim-Hauptquartiers antrifft, steht vor einem Mann Mitte 60, etwa 1,70 Meter groß mit der Aura eines Machers. Grünes Filzsakko, runde Brille, grauer Schal. Ein Lächeln auf den Lippen, trotz des Ärgers. Im kurzen Gespräch sagt Schulenberg, er würde sich gerne äußern, könne es zurzeit aber nicht.
Seinen Aufstieg verdankt Eventim vor allem der Krise im Plattengeschäft. Weil Musik auf CDs und im Netz weniger einspielt, sind Künstler zunehmend auf Geld aus Live-Auftritten angewiesen. Eventim bietet den Mega-Stars dabei einen besonderen Service. Auf der Webseite können sich die Fans unter der Rubrik “Ticketalarm” für Konzertkarten anmelden. Schulenberg weiß vorher, wie gut sich eine Show verkaufen wird, und kann Künstlern garantieren, die Hallen zu füllen. Mehr als zwölf Millionen Fans sollen Eventim ihre Daten gegeben haben.
Keiner weiß mehr über Deutschlands Musikfreunde, und das hilft Eventim im zweiten Firmensegment: dem Live-Entertainment. Schulenberg hat langfristige Verträge mit Veranstaltern geschlossen oder diese ganz gekauft. Marek Lieberberg, Peter Rieger, Semmelconcerts – große Namen der Szene sammeln sich unter dem Eventim-Dach.
“Viele der Branchengrößen, die ihn früher belächelt haben, tanzen nun nach seiner Pfeife”, sagt ein Ex-Mitarbeiter. Doch Schulenberg ist das nicht genug. Er bringt mit Pachtverträgen und dem Kauf von Betreiberfirmen auch die Bühnen unter seine Kontrolle, wie etwa das Tempodrom und die Waldbühne in Berlin. Oder die Lanxess Arena, die früher Kölnarena hieß und 20.000 Plätze hat.
Schulenberg hat alles in der Hand
Es sind die Locations, wo die Mega-Stars auftreten wollen. Take That zum Beispiel. Im Oktober 2015 soll das einzige Konzert der Briten in Nordrhein-Westfalen steigen und Schulenberg wird drei Mal daran verdienen. Eventim betreibt die Halle, die Lanxess Arena. Der Veranstalter, die Dirk Becker Entertainment GmbH, gehört Eventim als Tochterunternehmen. Die Tickets gibt es im Internet natürlich bei Eventim. Mehr geht nicht, es sei denn, Schulenberg würde auch noch selbst singen und tanzen.
Diese Dominanz beschäftigte bereits mehrfach das Kartellamt. Als Eventim 2011 die “Ticket Online Gruppe” kaufte, leitete das Amt ein nachträgliches Entflechtungsverfahren ein. Schulenberg hatte die Fusion nicht angemeldet. Daraufhin düpierte er das Amt mit einem Kniff: Weil die Umsatz-Schwelle für die Zuständigkeit der Kartellbehörde bei 500 Millionen Euro liegt, trennte er sich kurzerhand von Unternehmensteilen. In der abschließenden Mitteilung konstatierten die Wettbewerbshüter die entfallende “Kontrollpflicht” und stellten fest, dass CTS Marktanteile erreichen werde, “die eine marktbeherrschende Stellung möglich erscheinen lassen”. Das klingt nach einer Kampfansage.
Nun geht die Auseinandersetzung in die nächste Runde. Die Behörde hat bereits im November 2014 ein neues Verfahren gegen Eventim eingeleitet. Der Verdacht: Missbrauch der Marktmacht. Auslöser seien Informationen aus Fusionen in der Vergangenheit gewesen, teilt das Amt mit. “Im Rahmen des Verfahrens wird die kartellrechtliche Zulässigkeit verschiedener Geschäftspraktiken von CTS geprüft.” In der Branche heißt es, das Kartellamt untersuche, ob Schulenberg mit seinen Spielstätten Veranstalter unter Druck gesetzt habe, ihre Tickets bei Eventim zu verkaufen. Von “Exklusivverträgen” ist die Rede.
Schulenberg äußert sich nicht dazu. Auch das Kartellamt nennt keine inhaltlichen Details. Nur so viel: Die Behörde habe “umfangreiche interne Unterlagen” angefordert. Die Sache ist ernst. Das Amt kann Geschäftspraktiken untersagen oder Auflagen verhängen. Schmerzlich traf es 2012 etwa die Berliner Wasserwerke. Das Kartellamt verfügte, dass die überhöhten Wasserpreise um fast 20 Prozent gesenkt werden mussten.
Aufstieg eines Jungen aus Ostwestfalen
Für Schulenberg ist das Verfahren ein Makel in einer Karriere, in der es meist nur eine Richtung gegeben hat: nach oben. Sie beginnt Anfang der 70er-Jahre in der ostwestfälischen Provinz. Der Sohn eines Kaufmanns aus Lippstadt studiert BWL und Jura, als er Manager des jungen Schlagersängers Bernd Clüver wird. Dessen Lied “Der Junge mit der Mundharmonika” klettert im April 1973 auf Platz eins der deutschen Charts. Es ist Schulenbergs erster Erfolg. Er ist Anfang 20 und hat nun Startkapital. Das Studium hängt er an den Nagel.
Schulenberg fasst in Bremen als lokaler Veranstalter Fuß. Seine Firmengruppe nennt er KPS, das sind seine Initialen. Zu ihr gehören bald ein Callcenter und ein Verlag für Wochenblätter. Den Sprung ins Kartengeschäft macht er 1996. Er kauft den Computer-Ticket-Service, kurz CTS, von mehreren Konzertveranstaltern. Zu dieser Zeit werden Eintrittskarten über Vorverkaufsstellen vertrieben.
CTS ist ein Versuch, diese über das Internet zu vernetzen. Für die elektronische Maklerdienstleistung gibt es nur ein paar Pfennig pro Karte, aber Schulenberg begreift, wohin die Reise geht. Bald wird der direkte Internethandel den Vorverkaufsstellen harte Konkurrenz machen und der Anbieter mit der besten technischen Lösung wird zum großen Profiteur des Umbruchs.
Das Kalkül geht auf. Im Jahr 2000 bringt Schulenberg CTS Eventim an die Börse. So bekommt er Kapital für die weitere Expansion. Zwar können Anleger bei ihm investieren, die Mehrheit der Aktien und Kontrolle der Firma gibt Schulenberg aber nie aus der Hand.
Schulenberg gelingt Coup mit dem DFB
Das Showgeschäft reicht ihm nicht, er setzt auch auf Sport. Wegbegleiter erinnern sich, dass er unbedingt die Tickets für die Fußball-WM 2006 in Deutschland vertreiben wollte. Noch vor dem Börsengang kauft er sich bei einer Firma ein, die sich auf den Ticketvertrieb für Fußball-Bundesligisten spezialisiert hat.
So lernt er Willi Behr kennen, den Chef der Firma, einen fülligen Pfälzer. Es gelingt, den DFB als Kunden zu gewinnen. Der Vertrieb der drei Millionen Tickets des Sommermärchens ist ein Husarenstück für Eventim – und ein riesiger Image-Gewinn. Aber es gibt einen Spielverderber: die Staatsanwaltschaft München. Sie ermittelt seit 2010 wegen des Verdachts der Bestechung und Bestechlichkeit gegen Schulenberg und Behr, denn der Pfälzer soll ausgerechnet in der heißen Vergabephase zum DFB gewechselt sein.
Später wurde er sogar Ticketchef der WM. Er soll Privatdarlehen von Eventim erhalten haben. Das zeigen Durchsuchungsbeschlüsse und E-Mails zwischen Behr und Eventim, die der “Welt am Sonntag” vorliegen. Überdies sollen Schulenberg und Behr mithilfe von Christa N., der Frau eines Steuerberaters Schulenbergs, mehr als 50.000 Tickets auf den Schwarzmarkt verschoben haben. Profit: rund 12 Millionen Euro.
Weil die Ermittlungen lange dauern, geht in der Branche das Gerücht, eine außergerichtliche Einigung stünde kurz bevor. Die Staatsanwaltschaft teilt auch diese Woche mit: “Das Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.” Ein Abschluss sei nicht absehbar.
Knausern für den Erfolg
Warum soll ein so reicher Mann überhaupt krumme Deals betrieben haben? Schulenberg will über all das nicht reden. Einen schriftlichen Fragenkatalog der “Welt am Sonntag” beantwortet sein Anwalt. Die Fragen basierten auf Behauptungen, die “zur Gänze oder in Teilen falsch sind bzw. Halbwahrheiten oder Verdrehungen der Fakten enthalten”. Kein Wort zu den Ermittlungen, Verfahren und Vorwürfen.
In der Branche heißt es, dass Schulenberg sehr gerne Geld verdient und es penibel zusammenhält. Ein ehemaliger Manager berichtet, dass er sich einen Anpfiff vom Chef abholen musste, weil er für eine Besprechung beim Caterer belegte Brötchen bestellt hatte. Der Ex-Bausenator von Bremen Jens Eckhoff erinnert sich, dass Schulenberg persönlich anrief, um über die Gebühr für eine Baugenehmigung zu feilschen.
Man kann sich über das knausrige Verhalten lustig machen, die Zahlen sprechen für Schulenberg. Der Umsatz von Eventim wuchs von 159 Millionen Euro in 2002 auf 630 Millionen Euro in 2013. Die Firma hat heute 1800 Mitarbeiter. Jahr für Jahr schüttet Eventim satte Dividenden aus: Mehr als 150 Millionen Euro sind seit 2005 zusammengekommen. Das freut Investoren, und das freut den Chef, dem wegen seines Aktienpakets mehr als die Hälfte des Geldes zusteht.
Es gab sogar einen Tag, an dem Klaus-Peter Schulenberg genug Geld verdiente, um nie wieder arbeiten zu müssen. Am 9. März 2006 verkauft er Aktien im Wert von fast 100 Millionen Euro. Ein Leben auf hohem Niveau ist ihm sicher: Neben der weißen Villa in Hamburg gibt es ein Reetdach-Landhaus in Bremen-Oberneuland, wo die Werder-Stars wohnen.
Stiftung in Lichtenstein und Firma auf den Jungferninseln
Auch die privaten Finanzen sind offenbar optimiert. In Pforzheim sitzt die Cubid Vermögensverwaltungs GmbH & Co. KG, an der Schulenberg beteiligt ist und zu deren Gesellschaftern auch Christa N. gehört. Das ist jene Frau des Steuerberaters, gegen die die Staatsanwaltschaft München in der DFB-Affäre ebenfalls ermittelt. Sie ist aber nur mit einer Einlage von zehn Euro beteiligt.
Fast 28 Millionen Euro Einlage kommen hingegen von einer Firma mit ähnlichem Namen und exotischem Firmensitz: die Cubid Overseas Ltd. aus Tortola auf den Britischen Jungferninseln. Wer versucht mit ihrem Management Kontakt aufzunehmen, erhält den Rückruf von der Kendris AG, einer Treuhandgesellschaft aus Zürich. Handelt es sich hierbei um ein ausgeklügeltes Steuersparmodell? Kennt das zuständige Finanzamt die Konstruktion? Schulenberg schweigt.
Im Liechtensteiner Vaduz gibt es außerdem eine Schulenberg Stiftung. Sie war bis 2007 an der Cubid in Pforzheim beteiligt. Laut einem “Stern”-Bericht stellte der Anwalt und Steueroptimierer Hanno Berger 2011 der Schulenberg Stiftung eine “Einkommensermittlung der Cubid Overseas Ltd.” in Rechnung. Der Steuerguru tüftelte einst für reiche und superreiche Mandanten komplexe Investmentstrukturen aus, auch umstrittene Cum-Ex-Geschäfte. Diese zielen darauf, eine Kapitalertragssteuer erstattet zu bekommen, die nie entrichtet wurde. Berger steht im Mittelpunkt eines Großverfahrens Kölner Staatsanwälte.
Die KPS-Gruppe: Konkurrenz oder Partner?
Schulenbergs Firmengeflecht wirft weitere Fragen auf, insbesondere der Nukleus seines Reiches, die KPS-Gruppe. Es handelt sich um Firmen, die nie in Eventim integriert wurden, aber mit Eventim Geschäfte machen. Das Callcenter KPS Interactive Media etwa erzielte 2010 bis 2012 Jahresüberschüsse von rund 26 Millionen Euro – auch mit Aufträgen von Eventim. Welcher Anteil der KPS-Gewinne aus Geschäften mit Eventim stammt, möchte Schulenberg nicht sagen. Die Überschüsse flossen laut Bilanz auf das Gesellschafterkonto. Gesellschafter ist über den Umweg einer weiteren GmbH Schulenberg.
Es ist unübersichtlich in diesem Teil von Schulenbergs Reich: Ein KPS Concertbüro wickelt bis zu 70 Konzerte im Jahr in Norddeutschland ab, darunter sind Künstler wie U2, Westernhagen und Bruce Springsteen. Ein anderes Unternehmen aus der KPS-Gruppe betreibt das Tempodrom im Berlin, Eventim hingegen die Berliner Waldbühne. Die KPS Grundstücks GmbH & Co. KG vermietet das Gebäude in Bremen, in dem die Eventim-Zentrale residiert.
Von außen ist nicht zu durchschauen, ob KPS und Eventim Konkurrenten oder Partner sind. Es wäre möglich, dass Schulenberg Verträge als Geschäftsführer oder Eigentümer am KPS- und am Eventim-Ende unterschreibt. Investoren sehen solche Konstruktionen kritisch. Bei Eventim muss Schulenberg Gewinne mit anderen Aktionären teilen. Bei Firmen der KPS-Gruppe fallen sie ihm wohl ganz zu. Transparenz herzustellen, wäre deshalb wichtig. In Geschäftsberichten von Eventim wird die KPS-Gruppe jedoch nicht genannt.
Abzocke bei den Kunden
Musikfreunde stellen sich derweil eine andere Frage: Werden sie über den Tisch gezogen? Die Verbauchenzentrale Nordrhein-Westfalen hat Eventim mehrfach abgemahnt, auch wegen der Tour der australischen Altrocker von AC/DC. Im Dezember konnten Fans Karten für 101 Euro reservieren.
Die Bezahlung per Lastschrift oder Kreditkarte ließ sich Eventim mit 8,72 Euro vergüten. Dabei ist eine kostenlose Zahlungsmöglichkeit in Deutschland Pflicht. Eventim musste die Kunden entschädigen. Die Rechtmäßigkeit einer weiteren Extra-Gebühr von bis zu 29,90 Euro für den “Premiumversand” wird wohl vor Gericht geklärt. Offen ist auch, ob Eventim weiter 1 bis 2,50 Euro von Kunden verlangen darf, die Tickets selbst ausdrucken. Die Verbraucherschützer haben auch diese Gebühren abgemahnt. Zu all dem: kein Kommentar des Chefs.
Kartellamt, Staatsanwälte, Verbraucherschützer. Als wäre das nicht genug, hat Schulenberg noch andere Sorgen. Ausgerechnet mit der weißen Villa mit den Säulen. Seit sieben Jahren ist das Anwesen eine Baustelle. Nachbarn berichten von Pleiten, Pech und Pannen. Die Wände des Schwimmbads hätten dem Erdreich nachgegeben. Die Nachbarn sind genervt von Metall-Gerüsten, Kran-Booten auf dem See und Dixi-Klos im Vorgarten. Sie haben Schulenberg eine Protestnote geschrieben. Er passe nicht in die Straße und möge sich eine andere Bleibe suchen. Schulenberg wollte auch dazu nichts sagen.