“Deutschland ist Umschlagplatz für Frauen”
Das Prostitutionsgesetz von 2002 hat seine Wirkung verfehlt – Zuhälter und Menschenhändler sind die Nutznießer. Die künftige Regierung denkt jetzt über Änderungen am Strafrecht nach.
Von Jörg Eigendorf, Simone Meyer, Lars-Marten Nagel und Marc Neller
Union und SPD ( planen in einer schwarz-roten Bundesregierung eine neue Initiative, um den Menschenhandel wirksamer zu bekämpfen. Nach Informationen der “Welt” sprechen die künftigen Koalitionäre in ihren Verhandlungen auch über Änderungen des Prostitutionsgesetzes und des Strafrechts, um der zunehmenden Ausbeutung von Mädchen und Frauen entgegenzuwirken.
“Deutschland darf kein Schutzraum für ausbeuterische Zuhälter und Menschenhändler sein”, sagte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, der “Welt”. “Die bessere Bekämpfung der Zwangsprostitution ist deshalb natürlich auch Gegenstand der Koalitionsverhandlungen. Wir sind uns mit der SPD einig, dass wir hier mehr tun müssen.” In der vergangenen Legislaturperiode sei “leider zu wenig passiert”.
Für den CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl ist das Thema ebenfalls ein wichtiger Gegenstand der Verhandlungen. “Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das Prostitutionsgesetz mit der SPD so ändern können, wie wir das immer im Auge hatten”, sagte Uhl der “Welt”. Mit dem früheren Koalitionspartner hätte das wegen “brutalen Desinteresses” nicht geklappt. Ein Gesetz der schwarz-gelben Koalition, das unter anderem die stärkere Kontrolle von Bordellen ermöglichen sollte, galt zuletzt als Minimalkompromiss, war jedoch im Herbst vom rot-grün dominierten Bundesrat gestoppt worden.
Gesetz von 2002 verfehlte seine Wirkung
In den vergangenen zwei Legislaturperioden hatte es mehrere Anläufe gegeben, das Prostitutionsgesetz der rot-grünen Regierung aus dem Jahr 2002 zu reformieren. Hintergrund ist, dass das Gesetz seine Wirkung verfehlt hat. Es gibt lediglich 44 sozialversicherte Prostituierte in Deutschland. Während das Ziel, den Beruf der Prostitution aus der Illegalität zu holen, nicht fruchtete, sind Zuhälter und Menschenhändler weitgehend unbehelligt die Nutznießer der Liberalisierung, da sie kaum einer Straftat überführt werden können.
In den Augen von Innenpolitiker Uhl hat die Liberalisierung der Prostitution einen rechtsfreien Raum für Bordellbesitzer geschaffen, “in dem die Frauen unter die Räder kommen”. “Das wollen wir rückgängig machen.” Erste Gespräche mit SPD-Kollegen habe er bereits geführt. “Zum einen wollen wir die Tatbestandsmerkmale im Strafgesetzbuch ändern”, sagte Uhl. Ziel sei es, dass Menschenhandel zum Zweck der Prostitutionsausübung künftig bestraft werden könne, ohne dass die oft traumatisierten Opfer dazu vor Gericht aussagen müssten.
Am Prostitutionsgesetz wolle er etwa das sogenannte Weisungsrecht ändern, das noch von Gerichten akzeptiert werde. “Dadurch können Bordellbesitzer den Prostituierten, die bei ihnen arbeiten, zum Beispiel vorschreiben, wie lange sie arbeiten, dass sie auf Kondome verzichten oder ständig nackt herumlaufen müssten”, sagte Uhl. Eine Bestrafung von Freiern kann sich der Innenpolitiker – wenn überhaupt – nur vorstellen, “wenn es erkennbar ist, dass es sich um eine Zwangsprostituierte oder eine Minderjährige handelt”.
“Menschenrechtsverletzungen besser bekämpfen”
Die Bestrafung von Freiern, die vorsätzlich Dienste von Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen, steht auch in einem Antrag, über den die Frauen-Union der CDU Mitte November bei ihrem Bundesdelegiertentag in Ludwigshafen abstimmen will. “Wir wollen Menschenrechtsverletzungen besser bekämpfen”, sagte die Vorsitzende der Frauen-Union, Maria Böhmer, der “Welt”. Dazu gehörten Kontrollmöglichkeiten der Polizei, Gesundheitsuntersuchungen außerhalb der Bordelle und eine Erlaubnispflicht. “Ich bin zuversichtlich, dass wir uns einigen”, sagte die CDU-Politikerin.
Böhmer sieht das 2002 von Rot-Grün beschlossene Prostitutionsgesetz ebenfalls als gescheitert an. “Es hat seine Ziele nicht erreicht, Prostituierte kennen ihre Rechte nicht, die Möglichkeit der sozialen Absicherung wird kaum genutzt.”
Kriminologe Christian Pfeiffer spricht sogar von einem “kompletten Fehlschlag”. “Das Liberalisierungsgesetz hat die Situation nur verschlimmert”, sagte der frühere niedersächsische Justizminister der “Welt am Sonntag”. “Es hat nur dafür gesorgt, dass Zuhälter Geld verdienen wie nie zuvor und die Polizei vor unlösbare Aufgaben gestellt wurde.” Deutschland sei der Umschlagplatz für Frauen geworden.
“Fakt ist, dass die meisten systematisch unter falschen Vorgaben hierhergelockt und dann ausgebeutet werden nach Strich und Faden.” Ihn jedenfalls störe zutiefst das Grundprinzip, dass sich Frauen als Ware anbieten dürften. “Und dass Männer sie einfach so kaufen können, das kotzt mich – ehrlich gesagt – an.”
Ansätze, erkannte Missstände zu beheben, habe es immer wieder gegeben, sagte der Kriminologe, der 2000 bis 2003 für die SPD in der niedersächsischen Regierung saß. Eine konsequente Umsetzung sei nie erfolgt. “Die neue Bundesregierung darf dieses Thema nicht weiter auf die lange Bank schieben, sie muss dringend eine Neuregelung schaffen”, forderte Pfeiffer. Er empfiehlt der Großen Koalition auch einen Blick nach Schweden, wo Prostitution konsequent unter Strafe steht. “Dieses Modell sollte man endlich mal empirisch überprüfen.”
“Letztlich verdienen nur Kriminelle”
Für die langjährige Gewerkschafterin Ursula Engelen-Kefer gibt es auf Dauer keine Alternative zum Vorgehen der schwedischen Regierung. “Ich finde den Verkauf von Sex und den Verdienst daran schäbig und dreckig”, sagte die ehemalige Vizechefin des DGB der “Welt am Sonntag”. “Das ist für mich eine eklatante Verletzung der Menschenwürde sowie der Ausnutzung bitterer Armut und Not der Frauen.”
Auch Engelen-Kefer forderte die künftigen Koalitionspartner auf, dringend das Prostitutionsgesetz zu ändern. “Das war kein Schutz für die Frauen, sondern ein Freibrief für Menschenhändler”, sagte die bayerische SPD-Politikerin. Die Polizei sei mit der Kontrolle von Prostitutionsbetrieben “hoffnungslos überfordert”. “Letztlich verdienen nur Kriminelle.”
Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sieht hingegen keine Notwendigkeit, die Legalisierung der Prostitution rückgängig zu machen. “Dieses Gesetz wird nur insgesamt falsch gehandhabt”, sagte er. “Man müsste vorhandene Regelungen konsequenter durchsetzen. Dazu brauchen wir mehr Polizei.”
Zudem sollten die künftigen Koalitionspartner gemeinsam mit den Ländern vereinbaren, dass ihre Innenminister das Thema Menschenhandel endlich ernst nehmen und sich nicht nur auf den Drogenhandel konzentrieren, sagte Geißler. Das gelte auch für die europäische Ebene: “Es ist ein absoluter Skandal, wie die Sicherheitsbehörden und einige Innenminister in Europa mit diesem Thema umgehen. Sie sind bisher nicht in der Lage, den Menschenhandel, insbesondere aus Osteuropa, zu unterbinden.” Es müsse aber ein Ende haben, dass Hunderttausende Frauen verschleppt würde. Die Polizei müsse dagegen viel massiver vorgehen.
“Wenn es darum geht, Asylbewerber abzulehnen, kann es nicht scharf genug sein”, sagte Geißler, “und beim Frauenhandel agiert man derart weich. Das ist eine Schande.” Eines der wichtigsten Dinge sei nun, dass betroffene Frauen dauerhaft Asyl bekämen und nicht abgeschoben würden. Und dass sie ohne Angst zur Polizei gehen könnten.
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