Sind 200 Millionen Anlegergeld verschwunden?
Nach dem Fall Prokon droht das nächste Anlage-Desaster. Der Finanzmanager Malte André Hartwieg hat möglicherweise Geld über ein Firmengeflecht verschoben. Es geht um bis zu 200 Millionen Euro.

Infografik: Die Welt
Von Lars-Marten Nagel und Marc Neller
Als Norbert L. ein weißes Kuvert aus dem Briefkasten fingert, es aufreißt und liest, ahnt er, dass er vielleicht alles verliert. Er liest “Entwicklung ihrer Beteiligung” und “nicht planmäßig”. Mit freundlichen Grüßen, Malte Hartwieg, Geschäftsführer.
Ein halbes Jahr später, im April 2014, steht L. auf einer saftig grünen Wiese im Kyffhäuserkreis, Nordthüringen inmitten Hunderter weiß blühender Kirschbäume. Ein Mann Ende 50 in Wollpulli und Jeans. “Ich denke mal, dass das Geld weg ist”, sagt er. “Und zwar alles.” Wenn es so kommt, dann wird diese Kirschplantage hier das Letzte sein, was vom üppigen Erbe seiner Eltern übrigbleibt.
Als die Eltern starben, hinterließen sie ihm das Land und 250.000 Euro. Vor ein paar Jahren hat L. fast das ganze Geld genommen und es einem Mann und dessen Firmen anvertraut, die Fonds mit exotischen Namen auflegten, zum Beispiel Selfmade Capital Emirates 5.
Der Traum vom sorglosen Leben
Der Fonds erwarte 17,5 Prozent Rendite und versprach Schnellentschlossenen einen hübschen Bonus obendrauf. Schön, dachte L. Er wollte ein sorgloses Leben im Alter für sich und seine Frau, und sein Sohn sollte es etwas leichter haben.
Bis vor ein paar Wochen schien Malte André Hartwieg, der Mann, dem L. sein Geld gab, ein Magier zu sein. Einer, der es vom Bauarbeiter zu einem der größten Finanzmakler Deutschlands gebracht hatte. Der über ein Geflecht von 100 Firmen herrschte.
Mit einer dieser Firmen, Dima24.de, vertrieb und verwaltete er rund 2,3 Milliarden Anlegergelder, so sagt er es selbst. Und er schien immer eine Idee zu haben, wie man aus viel Geld noch mehr Geld machen konnte.
Ein Heer von Anwälten jagt den Muskelmann
Auf Fotos wirkt Hartwieg bis heute wie einer, der auf der Sonnenseite des Lebens steht: ein muskulöser Mann in Anzügen, die teuer aussehen, gut gebräunt, mit extravagantem Bart über der Oberlippe, dünn wie ein Lidstrich.
Die Frage ist nun, ob Hartwieg seine Anleger im großen Stil betrogen hat und noch betrügt. Die Staatsanwaltschaft München geht diesem Verdacht nach. Denn Norbert L. ist nach Recherchen der “Welt am Sonntag” nur einer von Hunderten deutschen Sparern, die sich von Hartwieg übers Ohr gehauen fühlen.
Allein vier spezialisierte Anwaltskanzleien vertreten rund 500 Anleger, die seit einigen Monaten vergeblich darauf warten, dass Hartwiegs Fonds das Geld und die traumhaften Renditen endlich auszahlen, die sie versprochen hatten. Es geht um bis zu 200 Millionen Euro.
Man würde gern von Hartwieg persönlich erfahren, was passiert ist und wie er sich all die Vorwürfe erklärt, die mittlerweile gegen ihn erhoben werden. Doch auf Fragen antwortet nicht er, sondern sein Anwalt, Werner Klumpe. Der räumt ein, dass es bei insgesamt zehn Fonds – Emirates 1 bis 7 und New Capital Invest 11, 16 und 19 – ein “Stocken der Ausschüttung” gibt.
Vollmundige Versprechungen
Dabei las sich doch alles so schön. Da war das Öl in den USA, die Goldraffinierie in Abu Dhabi. In den Verkaufsprospekten waren zum Beispiel Cowboyhut und Lasso zu sehen, Wildwestromantik. Vor allem aber standen all diese Zahlen darin, die Wünsche weckten.
Zurück zu Hause, in seinem Wohnzimmer, sitzt Norbert L. in einem schwarzen Ledersessel. Vor ihm steht ein grüner Plastikwäschekorb, darin: Aktenordner.
Werbeprospekt Nummer 1 etwa, die Biodiesel-Raffinerie in Abu Dhabi. “Eine der größten ihrer Art weltweit.” Produktionsvolumen: 4000 Tonnen im Jahr. Pflanzenkraftstoff für den Öl-Staat. Erwartete Rendite: 17,5 Prozent. So steht es im Prospekt.
Außerdem sichere Abu Dhabis Regierung das Geschäft mit ab. Falls der Erfolg ausbleibe, “würden die Investoren ihr eingesetztes Kapital zurückerhalten”. Das überzeugte L.
Millionen in den Wüstensand
Oder Prospekt Nummer 2, “Emirates”. Das klang nach Scheichs, nach Reichtum. Wer wie L. in einen “Emirates”-Fonds investiert hatte, glaubte, eine Goldraffinerie und ein Fertigbetonwerk würden das angelegte Geld mehren.
Oder Prospekt Nummer 3. Der New-Capital-Invest-Fonds “USA 19 Öl & Gas”. Der Fonds wollte mit Beteiligungen am “attraktiven Öl- und Gasmarkt in den USA” verdienen, angeblich mit Rechten an Land, Öl- und Gasquellen.
Heute sieht es so aus, als steckten im Wüstensand von Abu Dhabi und im Wilden Westen deutsche Millionen fest. L. kramt ein Goldbarren-Imitat aus dem Wäschekorb hervor. “Solchen Schnickschnack haben sie uns geschickt.”
Er redet nicht lange drumherum, er war naiv. Er würde sich heute mehr Zeit nehmen, das Kleingedruckte zu lesen. Er wäre misstrauisch, wenn jemand 17 Prozent Rendite verspräche. Vor sieben Jahren, als er den ersten Vertrag unterschrieb, war Finanzkrise ein Wort aus der Zukunft. “Selbst die Sparkassen boten damals teilweise acht Prozent Zinsen an.”
Außerdem wusste L. nicht, dass es so eine Sache ist mit Hartwiegs Versprechen. Es gibt die Prospekte, und es gibt die Fakten.
Totalverlustrisiko statt versprochener Staatsgarantie
Das Landgericht München I verdonnerte vor einem Jahr zwei von Hartwiegs Firmen dazu, einem Anleger dessen komplette Einlage zurückzuzahlen: 150.000 Euro plus Zinsen. Der Richter fand, in den Prospekten für einen “Emirates”-Fonds sei nicht ausreichend auf die Risiken hingewiesen worden.
Das Geld war für die Goldraffinerie bestimmt, die auch L. interessierte. Der Emissionsprospekt sei “in wesentlichen Punkten widersprüchlich und verwirrend” gewesen, steht im Urteil.
Rainer Lenzen, Anwalt in der Kanzlei Seimetz & Kollegen, die den Anleger vertritt, sagt: “Das war meiner Meinung nach eine perfide Masche. Überall stand Staatsgarantie drauf, ein Verlust der Anleger sollte ausgeschlossen sein. Tatsächlich bestand jedoch sogar ein Totalverlustrisiko.” Hartwiegs Anwalt sagt, Haftungsansprüche seien nicht begründet. Das Urteil ficht Hartwieg an.
Im Februar setzten sich zwei Anwälte der Münchner Kapitalmarktkanzlei Lachmair in einen Flieger nach Abu Dhabi. Sie wollten herausfinden, wo das Geld der Anleger geblieben sein könnte.
Wohin ist das Geld der Anleger geflossen?
“Es war ja nicht einmal sicher, ob es die Gold- und Silberraffinerie und die Fertigbetonfabrik überhaupt gibt, die in den Prospekten beworben wurde”, sagt Stefan Forster, einer der beiden. Seine Kanzlei vertritt mehrere Hundert von Hartwiegs Anlegern.
Forster und sein Kollege stellten fest, dass es die Projekte immerhin gibt. Aber: “Nichts deutet darauf hin, dass tatsächlich nennenswerte Anlegergelder in diese Projekte investiert wurden.” Es kommt ihm so vor, als wären die Firmen nur vorgeschoben, um Haftungsrisiken loszuwerden. Wo das Geld ist, kann er nur vermuten.
Selbst für Fachleute ist es kaum nachzuvollziehen, welches Geld in Hartwiegs Firmenreich wohin fließt. Er ist an mehr als 100 Gesellschaften beteiligt, es ist ein kaum zu durchdringendes Dickicht.
Bei geschlossenen Fonds seien solche Strukturen völlig normal, sagt sein Anwalt. Die Firmen seien bewusst unübersichtlich, sagen dagegen die Anwälte der Anleger. Sie vermuten, dass Geldflüsse verschleiert werden sollen.
Prokon lässt grüßen
Denn Hartwiegs Fonds haben das Anlegergeld weiterinvestiert: als stille Beteiligung an US-Firmen oder als Genussrecht an Firmen aus Dubai. Bei dieser Anlage können die Anleger all ihr Geld verlieren, wie derzeit das Drama um den deutschen Windkonzern Prokon zeigt.
L.s Erbe etwa floss aus dem Fonds Emirates 5 weiter an eine Middle East Ventures Future Energy Limited in Dubai. Und es gibt noch etwas, das die Anleger nur schwer durchschauen können.
Zu Hartwiegs Imperium gehört außer den Emissionshäusern Selfmade Capital, New Capital Invest, Euro Grundinvest und Panthera auch noch die Onlineplattform Dima24.de. Die vertreibt geschlossene Fonds und wirbt damit, mehr als 200.000 Anleger und mehr als 2,3 Milliarden Euro Anlegergeld zu betreuen.
Das wirft die Frage auf, wie neutral Hartwiegs Vermittler wohl gewesen sind. Denn Dima24.de vertrieb gleichzeitig Hartwiegs Fonds und die der Konkurrenz. Haben die Mitarbeiter den Kunden eher das beste Produkt verkauft oder das eigene, an dem der Chef und sie vermutlich am besten verdienten?
Hartwiegs Anwalt Klumpe bestreitet, dass es einen Interessenkonflikt gab oder gibt, der den Anlegern schadet. Eine von Hartwiegs früheren Geschäftsführerinnen erzählt etwas anderes.
Mitarbeiter packen aus
Sie ist die Ex-Chefin des Amerika-Fonds New Capital Invest und sagte unlängst dem Finanzportal Wallstreet-Online.de, Hartwieg habe Strohmann-Geschäftsführer eingesetzt, um die Verbindung von Fondsemission und Vertrieb zu verschleiern. Sie selbst habe Unterschriften geleistet, ohne die Geschäfte zu kennen. Hartwieg habe alle Fäden in der Hand gehalten. Nur er habe über die Konten verfügt.
Die Frage der “Welt”, ob das stimmt, hat Hartwieg nicht kommentiert. Und ist es wahr, was Insider behaupten: dass Hartwieg Berater und Mitarbeiter erfunden hat, um Kunden zu ködern? Hartwiegs Anwalt weicht der Frage aus.
Er schreibt: “Im Telefonmarketing werden teilweise schwer verständliche Namen durch einfach zu verstehende ersetzt.” Ein klares Nein klingt anders. Hartwiegs Dima24.de jedenfalls wirkt derzeit wie vom Erdboden verschluckt.
Die Berater gehen nicht mehr ans Telefon
Die Seite im Internet ist abgeschaltet, angeblich wird die Firma neu geordnet. Norbert L. ist nur einer von vielen Anlegern, der klagt, dass er die Finanzberaterin, die anfangs so freundlich war, seit Monaten nicht ans Telefon bekommt.
Hartwiegs Anwalt recherchiert seit einem halben Jahr, er hat eine Wirtschaftsdetektei eingeschaltet. Trotzdem kann er nicht sagen, wo das Geld der Anleger ist. Vor ein paar Tagen hat er einen Rundbrief verschickt, in dem er sie bittet, die Forderungen bis Jahresende zu stunden.
“Wer jetzt kündigt, läuft Gefahr, aufgrund der unklaren finanziellen Verhältnisse gar kein Geld zurückzubekommen”, sagt Adrian Wegel von der Frankfurter Kanzlei BHP, die mehrere Betroffene vertritt. Hartwieg spielt derweil Schwarzer Peter mit einem Geschäftspartner.
Der verschollene Kompagnon
Sein Anwalt sagt, für die Investitionen in Dubai und in den USA sei Christian Kruppa verantwortlich. In einem Brief an die Anleger schrieb er, Kruppa solle aufklären, wo das Geld geblieben sei und eventuell noch nicht investierte Gelder sofort herausgeben.
Kruppa habe mitgeteilt, dass die Investitionen zurzeit keine Ergebnisse erzielten, “die liquide Ausschüttungen zulassen”. Im Übrigen sei er vertraglich auch gar nicht verpflichtet zu zahlen.
Man kann das so deuten, dass zwei Kompagnons im Clinch liegen. Einige Anleger und auch Insider vermuten aber, dass beide unter einer Decke stecken. Hartwiegs Anwalt bestreitet das. Kruppa war nicht zu erreichen.
Hartwieg ist in Deutschland, ab und an auf Mallorca. Sagt sein Anwalt. Es sei klarzustellen, “dass die absolute Bereitschaft besteht, gegenüber den Anlegern und auch deren Anwälten alle Sachverhalte, die der Aufklärung bedürfen, offenzulegen”.
Kruppa ist vielleicht in Dubai, vielleicht in Florida, vielleicht woanders. L. ist in Thüringen. Er schläft kaum. Wenn er den Schlamassel doch mal kurz vergisst, hat er das nächste Dima-Angebot im Briefkasten. Kompostanlagen in Kanada. Immobilien in Brasilien. Öl in Alaska.