Krumme Geschäfte mit Kranken aus Libyen
Deutsche Kliniken haben in den vergangenen Jahren Hunderte libysche Patienten behandelt. Was schnelle, unbürokratische Hilfe sein sollte, entpuppt sich zum Teil als Betrug, Korruption und Geldwäsche.
Von Lars-Marten Nagel und Marc Neller
Der Weg zu Senussi A. Y. Kwideer führt durch ein Labyrinth unterirdischer Gänge. Ein Mann in dunkelblauer Uniform weist die Richtung, das Walkie-Talkie immer am Mund. “Wir kommen jetzt rein”, sagt er.
Durch den Seiteneingang geht es in den Keller einer Berliner Villa, ein schmaler Gang, rechte Tür, linke Tür, Treppe hoch. Dann ein Saal mit Kronleuchtern, Bücherregalen und einem Tisch, der fast den ganzen Raum füllt. “Warten Sie bitte hier”, sagt ein Mitarbeiter, “der Botschafter wird dann kommen.”
Drei Wochen sind seit der ersten E-Mail vergangen. Viele Fragen, keine Antwort. Eine zweite Mail, keine Antwort, mehr Zeit ist vergangen. Das Thema ist keines, über das Botschafter gerne reden. Es geht um offene Rechnungen über zig Millionen Euro. Um Betrug, Korruption, Geldwäsche womöglich. Um diplomatische Verwicklungen.
Der unangemeldete Besuch in der Botschaft ist der letzte Versuch, doch noch mit einem Vertreter des Staates Libyen darüber zu reden, was aus einer Idee geworden ist, die einmal gut klang.
Eine Milliarde Euro für die Kliniken
Aus Kwideers Land, aus Libyen, kommen Tausende versehrte Menschen nach Deutschland, viele davon im Krieg verwundet. Sie kommen, weil sie in Deutschland so gut behandelt werden können, wie in kaum einem anderen Teil der Welt. Das ist gut für die Patienten, denn das Gesundheitssystem bei ihnen Zuhause liegt darnieder, die hygienischen Bedingungen sind teilweise katastrophal.
Es ist auch gut für deutsche Krankenhäuser. Denn ausländische Patienten sind für sie eine von wenigen Möglichkeiten, ihre teuren Geräte und Stationen besser auszulasten und abseits der mit den Krankenkassen vereinbarten Regelsätze viel Geld zu verdienen.
Die Medizintouristen, die neuerdings immer öfter aus Russland und arabischsprachigen Ländern kommen, spülen pro Jahr eine Milliarde Euro in ihre Kassen. In die der Ärzte und Medizinzentren noch einmal so viel. Soweit die Theorie.
Senussi A. Y. Kwideer, der libysche Botschafter, ist ein Mann mit schwerem Oberkörper und sehr festem Blick. Als er an dem riesigen Tisch Platz genommen und erfahren hat, um was es geht, atmet er einmal sehr tief durch. Er wird gleich einen zweiten Mitarbeiter zum Gespräch hinzurufen. Aus der guten Idee ist ein ziemlich vermintes Feld geworden.
Offene Rechnungen mit Libyen
Deutsche Kliniken haben seit 2011 mehr als tausend Kriegsverletzte behandelt und sitzen seit Anfang 2012 auf einem Teil der Kosten. Die Kliniken wollten 44 Millionen Euro vom libyschen Staat. Offene Rechnungen für Behandlungen libyscher Patienten, die sie schon vorgenommen hatten, sagten sie.
Sie drohten, die Patienten nicht mehr zu behandeln. Viele dieser Patienten waren deshalb ungehalten. Einige kamen nach Berlin, vor Kwideers Botschaft, um zu demonstrieren. Es waren wild entschlossene Männer darunter, die Polizei musste eingreifen.
Der damalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr war im Frühjahr nach Libyen gereist, um zwischen den Fronten zu vermitteln. Vergebens.
Kwideer sagt: “Wir haben Hunderte Millionen bezahlt. Leider waren die Rechnungen einiger Krankenhäuser zu hoch.” Manche Forderungen seien absurd. Deshalb habe sein Staat die Auszahlungen gestoppt und die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PWC) mit der Prüfung der Rechnungen beauftragt.
Manche Patienten verursachen besonders hohe Kosten
Die Firma soll außerdem Vergleichsvereinbarungen mit den Kliniken aushandeln. Kwideer sagt, eine Klinik habe 6,5 Millionen Euro gefordert, PWC schätze die tatsächlichen Kosten auf 1,4 Millionen Euro.
Wenn alles gut läuft, hat Kwideer demnächst zumindest den politisch brisanten Teil des Problems gelöst. Schon in zwei Wochen will Libyen die offenen Forderungen deutscher Krankenhäuser beglichen haben. “Viele haben schon Geld bekommen, jetzt hoffen wir, dass bis Ende des Jahres alle offenen Beträge ausgeglichen werden können”, sagt Kwideer. Etwa 80 Prozent der Schulden seien mittlerweile beglichen, 54 Kliniken hätten Geld bekommen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bestätigt, dass es Fortschritte gibt. “Die Behandlung der Kriegsopfer war besonders aufwendig”, sagt Marc Schreiner, der Leiter “Internationales und Europa” der DKG. Die hohe Keimbelastung der Patienten und der Wunsch nach ausschließlich männlichem Personal hätten den Aufwand vergrößert. Einige Krankenhäuser hätten ganze Stationen schließen müssen.
Auch wenn das Schuldenproblem gelöst wird, muss sich Kwideer wohl noch eine ganze Zeit mit dem Medizintourismus herumschlagen. Er sagt: “Es gibt Korruption auf beiden Seiten, der deutschen und der libyschen. Wir wollen alles tun, sie zu bekämpfen.” Da sind einerseits die Kliniken, die zu hohe Rechnungen stellen, weil sie glauben, die Ausländer merkten es nicht.
Keiner kann das Geschäft durchschauen
Da sind andererseits Libyer, Angestellte der Botschaft, die das mitbekommen und entweder die Augen verschließen oder selber kassieren. Es heißt, es seien Mitarbeiter des Gesundheitsbüros versetzt worden, einer Unterabteilung von Kwideers Botschaft, weil große Summen Geld verschwunden seien. Kwideer will das nicht kommentieren.
Im Milliardenbusiness Medizintourismus mischen Hunderte Vermittlungsagenturen mit. Sie versprechen, sich um alles zu kümmern: Visa, Flüge, Dolmetscher, Termine in den besten Kliniken und eine Menge mehr. “Das Geschäft der Patientenvermittler ist sehr intransparent”, sagt Jens Juszczak, Dozent der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin.
Kaum jemand in Deutschland kennt sich mit dem Medizintourismus und seinen Auswüchsen so gut aus wie er. Juszczak forscht seit zehn Jahren zu dem Thema, er berät die Politik. Er sagt, nur sehr wenige Vermittler seien professionell und seriös.
Das Geschäft zieht Schlepper an, die schwerkranken Menschen überhöhte Rechnungen stellen, ihnen zu überflüssigen Untersuchungen raten, oder sie nach einer Reihe von Alibibehandlungen mit dem Glauben zurück in die Heimat schicken, geheilt zu sein.
Die Schlepper kassieren doppelt
Oft kassieren sie zweimal ab: bei den Kliniken, die ihnen teilweise 15 Prozent oder mehr der Behandlungskosten als Provision bezahlen, und bei den Patienten, von denen sie mitunter noch einmal so viel verlangen. Trotzdem arbeiten manche Krankenhäuser mit den dubiosen Vermittlern zusammen, denn auch sie wollen sich die Profite nicht entgehen lassen, die im Medizintourismus locken. Die Politiker in Berlin wiederum tun so, als ginge sie das alles nichts an.
Kranke und Verletze aus arabischsprachigen Ländern werden unter den Gastpatienten immer wichtiger. Von den 83.000 ausländischen Kranken, die zuletzt stationär in Deutschland behandelt wurden, kam jeder zwölfte aus arabischen und nordafrikanischen Staaten. Die Patientengruppe ist laut DKG von besonderer Bedeutung. Daten des Statistischen Bundesamtes zufolge hat sie sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht.
Die “Welt am Sonntag” hat in dieser Woche die dubiosen Methoden einer Vermittlungsfirma aufgedeckt, die mehrere hundert Patienten an deutsche Praxen und Kliniken vermittelt hat – vorwiegend im Rhein-Main-Gebiet. Das Naturheilzentrum Worms (NHZ) soll laut vertraulichen Unterlagen dafür mindestens zehn Millionen Euro vom libyschen Staat erhalten haben.
Viele Patienten klagen allerdings, nur zum Teil oder gar nicht behandelt worden zu sein, obwohl nachweislich bis zu 100.000 Euro Vorschuss für ihre Behandlungen überwiesen worden sind. Absender des Geldes ist eine Unterbehörde des libyschen Gesundheitsministeriums, das Zentralkomitee für Medizinische Hilfe Tripoli-West in Zawia.
Warten auf die Antwort aus Tripolis
Außerdem beklagen Krankenhäuser und Apotheken offene Rechnungen, eine einzige Klinikgruppe sogar in Höhe von mehr als vier Millionen Euro. Verträge, interne Unterlagen und Interviews mit Ex-Mitarbeitern und Patienten zeugen von fragwürdigen Geschäftsmethoden. Inzwischen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Mainz gegen die Vermittlungsfirma. Hintergrund ist eine Strafanzeige wegen Betrugs und unterlassener Hilfeleistung.
Die Recherchen der “Welt am Sonntag” werfen die Frage auf, ob eine Clique von Libyern und in Deutschland tätigen Geschäftemachern in kurzer Zeit möglichst viel Geld aus Libyen herausschaffen wollte und sich dann auf Kosten schwerkranker Menschen bereichert hat.
Das NHZ bestreitet die Vorwürfe. Fällige Rechnungen gebe es in der genannten Höhe nicht. Es gebe außerdem “keinen einzigen Fall”, in dem sich ein behandelnder Arzt geweigert hätte, eine Behandlung durchzuführen, weil die Finanzierung nicht sicher gewesen sei.
Eine Delegation des libyschen Staates prüfe regelmäßig die Geschäfte und sei mit der geleisteten Arbeit zufrieden. Offene Fragen zu dubiosen Vertragsdetails oder der Höhe der Vergütung klärte der Vermittler allerdings nicht auf. Die Verantwortlichen des zuständigen Zentralkomitees in Zawia haben dazu keine Fragen der “Welt” beantwortet.
Gut möglich, dass bald andere Fragen stellen werden. Einige Wochen nach dem Treffen in seiner Botschaft sagte Kwideer, er sei betroffen über den Artikel der “Welt am Sonntag” und darüber, was er zutage gefördert habe. Ein Mitarbeiter seiner Botschaft habe den Text ins Arabische übersetzt und nach Libyen gesandt. Er erwarte nun “die Reaktionen aus Tripolis”, von der Regierung also.