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Der schwarze Kanal

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Der schwarze Kanal

Eine Phantomfirma bietet im Internet Filme, Serien und TV-Kanäle für Deutsch-Russen an. Es gibt Hinweise auf Verstöße gegen das Urheberrecht und Steuerhinterziehung. Die Spur führt nach Bielefeld.

Von Florian Flade und Lars-Marten Nagel

Kristina Asmus ist ein Star in Russland. Dank ihrer Rolle als angehende Ärztin in der Erfolgsserie „Interny – Praktikanten im Krankenhaus“ kennt das ganze Land die 25 Jahre alte Blondine, die ein Männermagazin kürzlich zur erotischsten Frau Russlands kürte. Alexander Bem, 40, hingegen kennt kaum jemand in Russland – was ganz im Interesse des deutschen Verlegers aus Löhne bei Bielefeld liegen dürfte. Denn es gibt etwas, das ihn und die schöne Kristina verbindet: ein dubioses Internetfernsehangebot namens tvrus.tv.

Außerhalb Russlands gewinnt Asmus mehr und mehr Fans. Und tvrus.tv sorgt dafür. Der Internetkanal liefert Russen im Ausland heimische Fernseh-Unterhaltung. Er hat dank der Auswanderungswelle der vergangenen Jahrzehnte einen gigantischen Markt. Allein in Deutschland leben viereinhalb Millionen Menschen mit russischen Wurzeln. Und mittels tvrus.tv können sie der schönen Ärztin zusehen, wie sie um das Leben von Patienten kämpft oder wie sie sich verliebt.

Doch das ist längst nicht alles. Der Internetsender bietet zahlreiche russische Serien und Telenovelas, Hollywoodfilme in russischer Übersetzung und Live-Streams russischer und deutscher Fernsehsender. Für nur 15 Euro im Monat. „Ohne Antenne und Kabel!“ So steht es auf der Webseite: „Eine neue Ära des Fernsehens.“

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass es sich um einen besonders dreisten Fall von Internetkriminalität handelt. Lizenz- und Rechteinhaber klagen, dass tvrus.tv ihre Inhalte ohne Genehmigungen sendet – also ein illegales Bezahlfernsehen samt angeschlossener Mediathek betreibt.

Ungewöhnliche Dimension

Der Fall hat eine ungewöhnliche Dimension. Bislang galt Russland als perfekter Aktionsraum für Internetkriminelle. Deutsche Fahnder klagen oft, dass die russischen Behörden keinen Ermittlungseifer erkennen lassen, solange die Cybergangster nur im Ausland Schaden anrichten.

Bei tvrus.tv deutet vieles auf eine spiegelverkehrte Konstruktion hin. Die Hinterleute könnten in Deutschland zu suchen sein. Die russische Sprache, ohne die tvrus.tv nicht bedient werden kann, schützt sie vor Ermittlern.

Die „Welt am Sonntag“ hat ein Test-Abonnement bei tvrus.tv abgeschlossen. Der Zugangscode wird per E-Mail verschickt. Mehr als 140 russische und deutsche TV-Kanäle hat tvrus.tv im Angebot. Dazu kommen vier Porno-Sender, ein Archiv mit Fernsehsendungen der letzten zwei Wochen und eine Videothek mit mehr als 400.000 Filmen.

„Dirty Dancing“, „Der Rote Baron“ oder „Kokowääh 2“ – das meiste russisch synchronisiert. Zur Fußball-EM 2012 verschickte tvrus.tv Werbe-E-Mails: die Spiele live, umsonst und in bester Qualität. Wer die Sendungen im Fernseher verfolgen will, kann eine „Set-Top-Box“ für knapp 80 Euro bestellen. Geliefert wird in 70 Länder inklusive Japan, Kanada und Saudi-Arabien.

Für Rechte-Inhaber ein Albtraum

Was für den Kunden wie ein echtes Schnäppchen aussieht, ist für die Rechte-Inhaber ein Albtraum. „Sie bieten auch Spielfilme unserer Mitglieder an, diese werden ohne Erlaubnis zugänglich gemacht“, sagt Christine Ehlers von der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), einer Organisation der Filmbranche.

Die GVU sei auf Kinohits wie „Sherlock Holmes: Spiel im Schatten“ gestoßen. „Deren Verbreitung über tvrus.tv ist illegal“, so Ehlers. Auch die Juristen von ARD und ZDF sind überrascht, nachdem die „Welt am Sonntag“ sie auf tvrus.tv hingewiesen hatte. Dort waren bis vor Kurzem die Programme Das Erste, ZDF Kultur und ZDF Neo zu sehen. Die ARD teilte auf Anfrage mit, dass der Internetanbieter keine Weitersenderechte habe. Auch das ZDF sieht einen Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz.

In Russland ist der Ärger ebenfalls groß. „Unser Sender hat nie jemandem Rechte gegeben, seine Sendungen übers Internet in der EU zu zeigen“, sagte Andrej Kostjajew vom Moskauer Privatsender TNT der russischsprachigen Zeitschrift „Dialog“.

TNT strahlt die Serie „Interny“ mit der schönen Ärztin aus, Kostjajew leitet die Abteilung für Lizenzen. Er habe gedacht, dass Deutschland ein Rechtsstaat sei, in dem Urheberrechte eingehalten würden, sagt Kostjajew. „Als wir auf die Tätigkeit der Firma TVRUS gestoßen sind, konnten wir anfangs nicht glauben, dass so etwas überhaupt möglich ist.“

Schattenwelt der Internetwirtschaft

Doch so einfach ist die Sache nicht. Es gibt gar keine eingetragene Firma namens TVRUS in Deutschland. Wer sich auf die Suche nach den Hintermännern des schwarzen Kanals macht, landet in der Schattenwelt der Internetwirtschaft.

Zwar wirkt die Website von tvrus.tv professionell und seriös, doch schon beim Impressum beginnen die Merkwürdigkeiten: Es weist eine Firma namens „Online Ethnic TV Services Inc.“ in Toronto, 765 Sheppard Avenue West, als Betreiber der Seite aus. Im kanadischen Handelsregister gibt es die Firma hingegen nicht. Das Haus in Toronto ist ein schlichter Flachbau. Kein Hinweis auf die „Online Ethnic TV Services“.

Eine zweite Spur weist aber sehr wohl nach Kanada. Mit einer speziellen Software ist es möglich, zu Filmen wie „Mr Bean“ oder „Sophie Scholl“ bei tvrus.tv eine Art Internet-Absenderadresse, eine sogenannte IP, ausfindig zu machen. Sie ist registriert auf Alexei Tchernobrivets.

Der 32 Jahre alte Kanadier ist Geschäftsführer der Firma VianetTV, ansässig ebenfalls in Toronto. Deren Spezialität: Internetfernsehen. Tchernobrivets teilt auf Anfrage mit, dass er und VianetTV keine Geschäftsbeziehungen zu tvrus.tv unterhalten. Eine „Online Ethnic Services“ sei allerdings ein Kunde, und Kunden-Informationen gebe VianetTV grundsätzlich nicht preis.

Firma in Bad Homburg

Die Internet-Absenderadresse der gestreamten Filme von tvrus.tv lässt sich auch einer Firma in Bad Homburg zuordnen, die Server und Netzdienstleistungen anbietet. Deren Geschäftsführer ist erstaunt: „Wir hatten nie Auffälligkeiten mit dem Kunden. Wir werden das im Rahmen unserer Möglichkeiten prüfen und gegebenenfalls mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten.“

Auch die Steuerfahndung könnte ein verstärktes Interesse haben: Das Geld für das Test-Abonnement musste die „Welt am Sonntag“ – wie alle Kunden – auf das Konto mit der Nummer 0272602600 bei der Commerzbank Bielefeld einzahlen. Die Reporter erhielten per Mail eine Rechnung. Die deutsche Mehrwertsteuer ist darauf nicht ausgewiesen. Wird also Geld am Fiskus vorbei erwirtschaftet?

Wenn die Kundennummer eine Hochrechnung zulässt, geht es um sehr viel Geld. Auf der Rechnung steht eine Nummer deutlich jenseits der 180.000er-Marke. Sollte das die Zahl der Kunden sein und sollte auch nur die Hälfte davon monatlich rund 15 Euro für die illegalen Fernsehdienstleistungen von tvrus.tv bezahlen, dann würden über das Commerzbank-Konto in Bielefeld jeden Monat 1,35 Millionen Euro abgewickelt.

Was mit dem Geld passiert, wohin es fließt und wer das Konto angemeldet hat, wollte die Bank mit Verweis auf das Bankgeheimnis nicht mitteilen. Die Commerzbank konnte keinen Hinweis auf Geldwäsche erkennen.

Möglicherweise ist tvrus.tv nur ein kleiner Teil eines viel größeren Systems. Denn es gibt ein ganzes Netzwerk russischer Internetfernsehangebote, bei denen die kanadische Phantomfirma oder Konten der Commerzbank Bielefeld eine Rolle spielen, unter anderem arbus.tv, telemax-tv.com, kartinatvonline.com, kartina.tv und rozetka.tv. Deren Kundenzahlen sind unbekannt.

Russlanddeutscher ist Chef der Bem Media

Ein Mann dürfte mehr über das System, die Portale und die Hintermänner von tvrus.tv wissen: Alexander Bem, Jahrgang 1973, ein Russlanddeutscher mit kasachischen Wurzeln. Er ist Chef der Bem Media GmbH & Co. KG in Löhne bei Bielefeld. Im Internet präsentiert sich der Unternehmer als deutsch-russischer Medienzar.

Er herrscht laut Website über diverse Anzeigenblätter und Zeitungen, die hunderttausendfach in Geschäften ausliegen. Hinzu kommt ein europäischer Satellitensender. Außerdem übernimmt Bem Media Druckaufträge für Visitenkarten, Flyer, Magazine und gestaltet Websites von Online-Shops.

Offizielle Unternehmensdaten sprechen allerdings weniger für ein Imperium, sondern für einen überschaubaren Betrieb. Bem hat laut Creditreform keine fest angestellten Mitarbeiter. Die Bilanzsumme der Bem Media lag 2011 bei lediglich 320.000 Euro.

Alexander Bem verlegt auch eine Fernsehzeitschrift in russischer Sprache, deren Auflage sich dem Vernehmen nach auf 40.000 Exemplare in Deutschland beläuft. Darin finden sich Erzählungen, Kreuzworträtsel und Horoskope. Zufall oder nicht: Der Name der TV-Zeitschrift lautet „TVRUS“. Abonnenten zahlen auf ein Konto bei der Commerzbank Bielefeld ein – allerdings auf ein anderes als im Fall des Online-Fernsehangebots tvrus.tv.

Ganzseitige Anzeigen für tvrus.tv

Noch etwas ist auffällig: Die Anzeigenblätter von Alexander Bem drucken ganzseitige Werbeanzeigen für das dubiose Internetfernsehen tvrus.tv. Die Fernsehzeitschrift „TVRUS“ veröffentlicht große Annoncen für tvrus.tv und arbus.tv – meist prominent nur wenige Seiten vor dem russischen Fernsehprogramm platziert.

Auf den Webseiten der Bem Media aus Löhne ist von dem Internetportal tvrus.tv zwar nirgendwo die Rede. Der „Welt am Sonntag“ liegen aber zwei Dokumente vor, die den Chef in die Nähe des fragwürdigen Internetfernsehens rücken.

Ein Eintrag des Internetdienstes Archive.org zeigt, dass tvrus.tv noch im Juni 2009 die Bem Media aus Löhne als Kontakt ausgewiesen hat. Erst ab August 2009 ist das nicht mehr der Fall. Kurz darauf ließ Alexander Bem beim deutschen Patentamt zwei Marken in Wort und Bild schützen: „TVRUS“ mit dem Logo der Programmzeitschrift und eben „TVRUS tvrus.tv“.

Der „Welt am Sonntag“ wurde auch eine anonyme Anzeige zugespielt, die im Juni 2012 bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld einging. In ihr geht es ebenfalls um die Verbindungen von Alexander Bem zu tvrus.tv. Auf Nachfrage teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass sie 2012 wegen des Verdachts des Betrugs und Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz gegen Bem ermittelt habe. Die Ermittlungen seien aber eingestellt worden.

Anfragen bleiben unbeantwortet

Die „Welt am Sonntag“ hätte gern mit Alexander Bem gesprochen – über das fragwürdige Internetfernsehangebot mit den vielen Filmen, die Phantomfirma in Kanada, die Höhe der Einnahmen von tvrus.tv, die Konten bei der Commerzbank, die nicht ausgewiesene deutsche Mehrwertsteuer und die fehlenden Sendelizenzen und die Verbindungen zu den legalen Unternehmen und dem Kanadier Alexei Tchernobrivets.

Bem wollte sich nicht äußern und ließ E-Mails und Faxe mit Fragen unbeantwortet. Anrufe auf seinem Mobiltelefon nahm er nicht entgegen. Sein Büro ließ lediglich wissen, dass sich der Chef gerade im Ausland aufhalte und erst im November zurückerwartet werde.

Tchernobrivets antwortet auf E-Mails ohne die interessanten Fragen zu beantworten. „VianetTV beobachtet die Aktivitäten seiner Kunden nicht“, schreibt der Kanadier zu der Frage, wie er Geschäfte mit der Phantomfirma „Online Ethnic TV Services“ betreibe. Warum sein Name im Zusammenhang mit IP-Adressen von bei tvrus.tv gestreamten Filmen auftaucht, erklärt er nicht. Und auch nicht, ob er Bem persönlich kennt.

Das jedenfalls ist sicher. Die beiden sind zusammen Gesellschafter der österreichischen Firma BFT GmbH in Klosterneuburg. Im Februar 2012 hat die österreichische Regulierungsbehörde für Rundfunk und audiovisuelle Medien Bem, Tchernobrivets und einem dritten Gesellschafter erlaubt, ein 24-Stunden-Spartenprogramm für russischsprachige Immigranten über Satellit zu senden. Es soll der Zielgruppe „eine fernsehmediale Verbindung in die Heimat ermöglichen sowie die Integration fördern“.

Der Name des Programms: TVRUS.

Mitarbeit: Julia Smirnova

Streng vertraulich! Das WELT Investigativ Blog


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